Traditionelles

Monat der Kastanie auf Teneriffa

Langsam neigt sich das Jahr dem Ende entgegen und alle Zeichen beginnen sich auf die vorweihnachtliche Zeit einzustellen. Nun beginnt auf Teneriffa eine wunderbare Zeit – die Kastanienzeit.

Ab Mitte des Monats stehen – hauptsächlich am Hafen von Puerto de La Cruz, aber auch in Santa Cruz und in vielen anderen Teilen der Insel – die Maronenverkäufer vor ihren dampfenden Öfen. Sie Luft ist erfüllt von offenem Kohlefeuer und dem Duft der Kastanien.
Ein erster Vorbote dafür, dass die Fiesta San Ándres, das Ausschenken des neuen Weines und die Advents­zeit nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Die Kastanie hat eine lange Geschichte auf der Insel. Früher galt sie als Grundnahrungsmittel der armen Menschen, die in den Ortschaften zwischen La Orotava und dem Esperanzawald wohnten. Wobei sich das Zentrum der Kastanienwirtschaft im Acentejo – also zwischen La Orotava und Tacoronto – auf einer Höhe von 700 – 1.100 Metern über dem Meeresspiegel befand. In diesen Höhen war Ackerbau nicht mehr möglich und die Menschen suchten andere Möglichkeiten die Flächen sinnvoll und ertragreich zu nutzen.

Wer nun glaubt, eine Kastanie ist einfach nur eine Kastanie, der irrt. Auf Teneriffa gibt es insgesamt 18 verschiedene Sorten dieser dunklen Schalenfrucht. Die Namen der einzelnen Sorten leiten sich aus der Form, der Herkunft und dem Geschmack ab.
Eine wundervolle Sorte hat zum Beispiel den Namen der Gemeinde „La Matanza“. In der örlichen Markthalle – Mecadillo – von La Matanza findet einmal jährlich eine Kastanienmesse statt. Hier findet man alles rund um die köstliche Frucht und kann sich jede Menge Anregungen für die Zubereitung holen.
Auch die jährlich in Arafo stattfindende Gastronomie-Messe beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Kastanien.

In früheren Zeiten wurden die Kastanien im Herbst und Winter roh oder auch geröstet als Vorspeise oder auch als Beilage zu Fisch serviert. Kastanien konnte man lange lagern – ihre Blätter dienten nicht nur als Futter für die Tiere im Stall, sie ersetzten auch das Stroh. Und das Holz und die Baumrinde der Kastanie wurden traditionell beim Bau von Häusern, Möbeln, Fässern oder auch sehr gerne von Korbmachern verwendet. 

Das Schwierigste bei allem war die Ernte der köstlichen Früchte. Die Familien brachen in früheren Zeiten bereits in den frühen Morgenstunden auf um barfuß in die Wälder hinauf zu steigen. Dort angekommen, kletterten Sie auf die Bäume und pflückten die Früchte per Hand. Im Gegensatz zu deutschen Kastanien, haben die kanarischen Kastanien an der grünen Außenschale sehr lange Dornen, die bei der Ernte oft zu Verletzungen führten.
Der Lohn der Arbeit gehörte den fleißigen Menschen jedoch nicht allein. Sie mussten einen Teil an den Grundbesitzer abgeben.

Auch auf der Insel des ewigen Frühlings war und ist das Wetter nicht immer gleich. Ganz im Gegenteil. Es gibt immer wieder heftige Stürme, die auch die Kastanienernte vernichtete. Für die Menschen, die eh nicht viel zum Leben hatten, kam ein Jahr, in dem, die Kastanienernte ausfiel, einer Katastrophe gleich. Wie wertvoll diese Frucht für die Menschen im Norden der Insel war, zeigt eine, vor einigen Jahren veröffentlichte Studie, die sich mit der Kastanienwirtschaft im Acentejo beschäftigte. Diese Studie ergab, dass insbesondere in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg eine große Not auf der Insel Teneriffa herrschte. In dieser Zeit wurden die Kastanien nicht nur auf den Märkten verkauft, sie wurden auch gegen andere Lebensmittel eingetauscht.

Es waren vorrangig die Märkte in Puerto de la Cruz und Tejina die die Menschen ansteuerten. Die Strecken – teilweise mehr als 20 km – wurden dabei zu Fuß zurück gelegt. Wer keinen Maultier hatte – diese Tiere können bis zu 50 Kilogramm transportieren – der trug seine Ernte in Körben auf dem Kopf zum Markt.

Fluch und Segen zugleich war in den 50er Jahren der Bau neuer Straßen. Durch sie wurde es möglich mit dem Lieferwagen die Märkte der Inselhauptstadt Santa Cruz oder auch von Icod de los Vinos anzufahren. Damit wurde der Untergang der Kastanienwirtschaft auf Teneriffa eingeläutet.
Aber warum? Was haben neue Straßen mit den Kastanien zu tun? Die Erklärungen sind recht einfach. Da war als erstes einmal der erhöhte Import von Getreide aus Südamerika. Zum zweiten war die Armut auch zu dieser Zeit auf Teneriffa so hoch, dass viele Einwohner der Insel sich gezwungen sahen, ihre Heimat zu verlassen und woanders noch einmal von vorn anzufangen. Die Kastanienwirtschaft wurde  immer rückläufiger.  Den „Todesstoß“ bekam die Kastanienwirtschaft dann Anfang der 60er Jahre. Der Tourismus erreichte die Insel und brachte den Menschen im Norden viele Arbeitsplätze im Bereich Fremdenverkehr. Das führte dazu, dass die Kastanienernte fast völlig zum Erliegen kam.

Heute gibt es auf Teneriffa – insbesondere im Acentejo - wieder eine Kastanienwirtschaft. Sie verfolgt aber nicht, wie in der Vergangenheit, rein wirtschaftliche Ziele, sondern steht ganz im Zeichen von lokalhistorischen und landschaftsplanerischen Gründen.